aus Niemands Frau

Barbara Köhler

GEWEBEPROBE : PENELOPE

penelope wartet worauf wartet

wartet penelope? wartet kalyp
so wartet kirke warten skylla
charybdis sirenen warten alle
alle auf einen nur: den einen
den anderen—anders als alle
anderen warten auf ihn warten
sie wirklich warten alle dass
er kommt dass er geht dass er
bleibt und er anders sei dass

penelope wartet darauf wartet

erwartet er erzählt er wartet
auf den moment der zählt wenn
eine auf ihn gewartet hat sie
ihn erwartet kann er ein andr
er sein kann kommen und gehen
kann wolln oder nicht kann er
sich verlassen und sie warten
lassen sie alle momente verge
hen vergessen wegbleiben den

penelope wartet, wartet nicht

penelope verwebt & trennt auf
hat zeit gewinnt sie und gibt
sie nimmt sie sich wartet sie
nicht auf etwas trennt sie es
ist verwobene zeit getrenntes
eine verbindlichkeit zwischen
ihnen & ihr allein ein gewebe
schleier undurchschaubare ist
sie frei könnt er freier sein

auf den wartet penelope nicht

 

KIRKE

DIE WEISSEN KOMMEN: eine horde helden 
die KriegerSchlägerMörderVergewaltiger: vieh
tiere schweine zweiundzwanzig männer auf
eine frau & keinen chef dabei vor dem sie
kuschen würden. Aus Troja kommen sie aus
zehn jahren krieg aus angst & auf befehl
die fremde zu erobern (das wär ich) Noch
staunen sie noch bin ich unvergleichlich
für sie ein zweifelsfall: FRAUODERGÖTTIN
noch glauben sie es nicht zu wissen noch
ist angst so stark wie beutegier Kostbar
der augenblick der wahrheit schweben Das
staunen jungs soll euch erhalten bleiben
und in erkenntnis münden: GNÔTHI SEAUTÓN
—sauwohl sollt ihr euch fühln bei Kirke
entlassen aus der sprache der furcht aus
reden fragen & verantworten dem spiel in
dem ein leben an einem komma hängt Sogar
die schatten schwatzen: abgerissnes garn
perfekt. Ihr werdet sehen. Hören Riechen
Schmecken Ein Fleisch: Sein In Der Liebe
Ohne Du & ohne Ich & ohne unterschied Es
wird für euch gesorgt gedacht gesprochen
was ihr getan habt der geringsten meiner
schwestern das habt ihr mir getan & euch
werd ichs zeigen wie wer zur sau gemacht
wird wisst ihr doch jungs: lasst sie raus! 
Hier könnt ihr euch vergessen & die zehn 
jahre zum punkt geschrumpft kein schmerz 
mehr keine todesangst kein alptraum ekel kein 
wort für all das keine zeit am ende der geschichte 
werdet ihr sehen: das ist DAS GLÜCK— 
die reine gegenwart im dreck



SIRENEN

Ich sei »Ich bin«: ein zeichen
das klingt springt /himmel und
hölle/ entzwei gebrochnes wort
mein teil verschwiegen bin ich
gleiche ihm die verglichene er
kennt sich nicht im andern das
verdingte zeichen das bedeutet
wird das zu deuten scheint ihm
antwort was in frage steht was
er zu stellen sucht fixiert es
fesselt ihn das unbegreifliche
vor augen hört er es klingt es
singt zweistimmiges zwitschert
es gezwitter von frau & vögeln
sieht er sich gesehen gesungen
gespiegelt undeutliches doppel
im halben vogelblick im andern
auge die andere die gleiche in
differenz interferenzen gehört
mit bloßem ohr ein singsang an
klang echo & durchdringung wer
will das auseinanderhalten was
kommt aus seinen händen den ge
bundenen hat er sich in gewalt
gegeben den tauben ohren seines
gleichen die stricke schneiden
das eigene fleisch es schmerzt
ihn seh ich weiss was schmerzen
sind auszuhalten ist eine wahl
der qual mit namen »Ich« & mehr
als eins bin ich selbander DIE
(»Sirenen« nennt er es) ICH BIN
MIR GLEICH die fremde ist mein
double mein teil sie hält mich
aus halt ich sie weiss ich mich
zu lassen was hält ist abstand
& ich halt ihn lieber als dass
ich flöge auf dieses angebinde
: held in seilen verstrickt in
eignen worten die den leib ent

 

PENELOPE IM SCHNEE

Ich kann mir keinen leib für meinen leib mehr
vorstellen dich habe ich vergessen nicht dass
du mich verlassen hast und nicht die zeit ver
geht: der leib mit seinen eingefleischten mit
den verwachsenen zu zysten myomen tumoren ver
klumpten erinnerungen verflossene berührungen
gerinnen zu knoten zu kalk zu sklerose chitin
die hardware der ichmaschine arbeitet hin auf
finale feststellung. Ich arbeite ihr entgegen
ich lagere aus—mein grabtuch das nicht mein
grabtuch sein wird eine totenhaut die mich am
leben hält die tote haut das kleid CHITIN der
panzer der nicht wächst der text der wort für
wort und nacht für nacht ungesagt wird und un
getan—gemacht gelöscht vom countdown von der
rückw.rtsbewegung des schiffchens vom her und
hin ist hin und wieder her nichtwahr gestellt
und ver—zurückgeworfener schuss eine gelöste
kette I can connect nothing with nothing kann
etwas zunichte nichts zu etwas machen bleiche
fäden fasern gespannt zwischen nichts & wider
nichts von nacht zu nacht in palintrope harmo
nie die haut im fadenschein die altersflecken
oder sommersprossen. Niemand wird kommen. Und
kein tag. Ich werde nichtsein. Werde nichtich
mit der bewegung des schiffchens gehe ich und
gegen null, realwert einhalb: ich hatte einen
mann. Ich habe einen sohn der einer sein will
und zählen und beherrschen ich bin eine halbe
sache für ihn die er gern ganz los wär ich bin
die einzige der vielen der freier die cousine
Helenas der brautpreis: bin niemands frau und
Niemand wird kommen. Mich friert. Es ist kalt
ist alt ist weiss es wirbelt strudelt stöbert
es ist schnee. Es ist ein fall der keiner ist
die welt ein schweben als wär schwerkraft was
zart was zögerliches und kristalle aus wasser
nebel diese stille in seinen worten tanzendes
schweigen. Schmelzen auf der haut meiner haut
wie tränen prickeln winzige betäubende stiche
das lichte leichte kalte bleiche flockenworte
die alles zudecken: ein leichentuch und wärmt