Tierträume

Gertrud Kolmar

Trauerspiel

Der Tiger schreitet seine Tagesreise
Viel Meilen fort.
Zuweilen gegen Abend nimmt er Speise
Am fremden Ort.

Die Eisenstäbe, alles, was dahinter
Vergeht und säumt,
Ist Schrei und Stich und frostig fahler Winter 

Und nur geträumt.

Er gleitet heim: und mußte längst verlernen,
Wie Heimat sprach.
Der Käfig stutzt und wittert sein Entfernen
Und hetzt ihm nach.

Er flackert heller aus dem blinden Schmerze,
Den er nicht nennt,

Nur eine goldne rußgestreifte Kerze,
Die glitzernd sich zu Tode brennt.




Der Wal

Du. Dich wollt' ich vom Himmel mir krallen,
Reißen tief in mein Leben hinein;
Tag ist eben zu Splittern zerfallen,
Sonne tröpfelt, nun süßerer Wein.
Ob meiner Hand,
Greisingewand,
Schleiert schon weißer der neblichte Schein.

Du. Du weidest auf kühleren Wiesen,
Schaumglasäckern, Gefilden der Flut,
Hinverwandelt zum schwebenden Riesen,
Der bei den Müttern der Bläue ruht.
Felsen von Eis
Strömen dir leis
Reinere Kissen, ihr silbernes Blut.

Was du empfunden, als Labe, als Beule,
Was du in Helle gedacht und begehrt,
Wirft dir vom Haupte die tanzende Säule
Höher ins Dunkel, das sprudelnde Schwert.
Lilie aus Gischt
Blüht und erlischt:
Seele, von ewigem Wogen verzehrt.

Warst du so stark je, so Stummheit und Rune?
War je dein Atem so hauchend und groß?
Stürzt dir mein frevelnder Schrei die Harpune,
Zerrst du durch jagende Qualen dich los?
Irgendwo weit,
Leicht in der Zeit,
Taumelt ein leeres, gekentertes Floß.




Der Drache

So will ich liegen—da die Hand mir schweigt,
Da sich die volle Schale zu mir neigt,
Ein einziger Tropfen aus der Schale fällt,
Doch mit dem Tropfen die gekrönte Welt
Der Stille.

Es schwillt, es bildet sich und nimmt Gestalt.
Das Auge leuchtet tausend Jahre alt,
Und nun ihm brauner Fetzenflügel wächst,
Der Glanzschweif sich um Sternenespe hext,
Erkenn ichs.

Schon kriecht es duckig, erzgeschuppt die Haut,
Den Klumpfuß meinem Teppich eingeklaut;
Aus seiner Pferdenüster, rundgebläht,
Tanzt Flammensense auf, die Träume mäht
In Schwaden.

Mit seinem Maule zückt es manches Wort,
Und wenn es redet, heb den Kopf ich fort;
Denn was es weiß, ist alles seltsam wahr,
Ist, wie der Mond von totem Froste, klar
Und scheinend.

”Sie haben aus den Höhlen mich gebannt,
Sie haben mit den Büchern mich verbrannt,
In finstren Napf gestellt ihr weißes Licht;
Es steigt an meiner Glut und will mich nicht
Erschlagen.

Und bin ich dienstbar nicht wie Stuhl und Tisch
Und minder selbst als Fittichtier und Fisch,
Doch bin ich Kap, daran dein Schoner birst
Und das du leugnest, bis du scheitern wirst
In Stürmen

Du nennst die Inseln: Tod, Unsterblichkeit.
Hörst du das Leben, das aus Steinen schreit?
Siehst du die Zuckungen des Staubgesichts?
Du glaubst: Hier Gottes Himmel—dort das Nichts.
Ich bin ein Drittes.”





Ein Drache spricht

Ich schleudre aus dem Nacken
Gezeit- und Erdenjoch,
Es sprühn die goldnen Zacken
Vom finstren Panzer noch
Aus Kessels Sang and Sieden
In wunderlichen Schmieden,
Die zwischen Kampf und Frieden
Wie zwischen Rüstern stehn.

Das Märchen ist verworfen,
Das mich dem Tag geschenkt;
Ich leb mit roten Orfen
Den Wassern eingesenkt,
Brach einst die Rabenhorste
Aus hartgekrampftem Forste,
Und ritt auf Wildsauborste
In Sumpf und Dickicht ein.

Der Bannwald ward zersplissen,
Zu mürbem Schutt gekämmt,
Die Kette mir zerrissen,
Die Krone fortgeschlämmt;
Sie funkelt schön in Nächten
Ob allen Weibes Flechten,
Von silbergrünen Hechten
Dem Ufer zugeschwemmt.





Gute Nacht

Die Hände kann ich falten, lieber Mann,
In meinem Bette sitzen, für dich beten.
Der meine Silberkerze . . . Tagtraum dann

Von ungezählten weißen Margareten,
Die ich im Sprühtau pflückte—fortgekramt
Und eingesenkt in lauter fremde Dinge

Mit deinem Bilde, das sie wirr umrahmt
Und mit der Dolde blonder Schmetterlinge,
Die schwebend blühten in dem jungen Kranz.

Es ging ein stilles, kühles Abendgrauen.
Nur einer öffnet klein und ohne Glanz
Sich langsam über meinen Brauen.