Auszug aus >Kussnester<

Werner Lutz

Bringt nichts und doch
muss ich so unnütze Sachen denken
wie es sein könnte wie es wäre

wenn mir die Wurzeln
einer uralten Eibe durch die Herzkammern
wachsen würden
mit ihrer narkotischen Säften
dem Gift und ihrem
Wissen um das Immergrün





Immer im März schlafe ich schlecht
da liege ich unter Seidenpapier
und das Parfüm ferner fremder Sehnsucht
lässt mich schneller atmen

die Stunden drehen
ihre verführerischen Runden
und was ich in diesen Nächten denke
gleicht den Knospen in März

zu früh zu früh
zu gewagt um lebensfähig zu sein





Einmal im Sommer
als grüne Zärtlichkeiten
im Halbschatten schliefen

einmal im Herbst
als die Birnbäume sich ins eigene
verglühen vertieften

einmal im Winter
als Schneewehen
den Stillstand bedeckten

einmal im Frühling
als ein Abschied winkte
am Straßenrand

etwas schwarzes aufblühte
am Schwarzdornstrauch





Wie ein Fluch
kommt heute der Abend
über den Rhein

die Türme versinken
im schlammigen Licht

die Sandsteintürme
Wendeltreppentürme
die Türme
der vergeblichen Gebete

die Pappeln am Ufer
eingesponnen in Gespinste
aus bittenden
bettelnden Lauten

nach einer fremden Stimme
schmecken die Lippen





Werner Lutz: >Kussnester<
© Waldgut Verlag und Autor, Frauenfeld, Schweiz 2009