Auszug aus >Porzellan. Poem vom Untergang meiner Stadt<

Durs Grünbein


                                                 "Mein Vögelchen kömmt nicht"
                                                                         Immanuel Kant, 1803


                                        1

Wozu klagen, Spätgeborner? Lang verschwunden war
Die Geburtsstadt, Freund, als deine Wenigkeit erschien.
Feuchte Augen sind was anderes als graues Haar.
Wie der Name sagt: du bist zu flink dafür, zu grün.
Siebzehn Jahr genügten, kaum ein Jugendalter,
Auszulöschen, was da war. Ein strenges Einheitsgrau
Schloß die Wunden, und von Zauber blieb – Verwaltung.
Nicht aus Not geschlachtet haben sie ihn, Sachsens Pfau.
Flechten wuchsen, unverwüstlich, über Sandsteinblüten.
Elegie, das kehrt wie Schluckauf wieder. Wozu brüten?





                                       2

Klar die Frostluft. Unterm Flügel, Augenweide,
Lud der Fluß, ein schlankes S, die Bomberstaffeln ein.
Nachts der Stadt blieb keine Zeit, sich anzukleiden.
Besenhexe kocht. Kocht Glas, Metall, Asphalt und Stein.
Bombe, Bombe – blankpoliert, fiel durch den Schacht
Tonnenweise Schrott in den Mätressenschoß.
Augusts Pracht ... „Nie gutzumachen, diese Nacht“.
Schwarz vom Phosphorbrand: das sandsteinhelle Schloß.
Spaniens Himmel flammte auf, und Coventry und Guernica.
Von der Bella ante bellum – nichts mehr da. 





                                       3

Sprich mir nach: es braucht nicht viel, aus einer Stadt
Eine Mondlandschaft zu zaubern. Oder Kohle
Aus den Menschen, die da wohnen. Stell dir vor: es hat
Eine Opernpause nur gedauert, Zeit zum Zigarettenholen,
Und auf Straßen, Todesfallen, brodelte der Teer.
Eben Frost noch, blau am Fahrradlenker klebt die Hand,
Schon herrscht Wüstenwind, fegt übers Häusermeer.
In den Wintermänteln, pharaonensteif, sind sie verbrannt.
Heißer war kein Sommer je. Der letzte Luftalarm
Kaum verebbt, da war im Zentrum noch die Asche warm. 





                                       4

                                                  „...2000 Centner von der guten Porcellan-Massa...“
                                                                            Johann Friedrich Böttger, Sächsischer
                                                                                      Hof-Alchemist


Porzellan, viel Porzellan hat man zerschlagen hier,
Püppchen, Vasen und Geschirr aus weißem Meißner Gold.
Doch nicht dies nur. Ach, es war einmal – ein Klirren,
Und als Donner kam es auf den Tatort zugerollt.
Nein, kein Polterabend war, was Volkes spitze Zungen
Die Kristallnacht nannten, jener Glückstag für die Glaser.
Bis zum Aschermittwoch später war da nur ein Sprung.
Narr und Nazi hatten, heißa, ihren Heidenspaß.
Unschuld, sagt ihr? Lag die Stadt nicht längst geschändet?
He, wo seid ihr, Dresdner Schäferinnen, german bands





                                       5

Leise, jedes Jahr im Februar trifft von weit her
Einen Nerv der Loreley-Ruf Dresden, Dresden ...
Stummfilm: nachts im Fernsehn ist sie wieder unversehrt
Archiviert, die Stadt, und kann dich doch nicht trösten.
Wochenschau, da gehn sie hin, Passanten. Keiner ahnt,
Was dann geschah. Flaneure, schlanke Damen, Invaliden.
Da am Postplatz, sieh nur: Fuhrwerk, Fahrrad, Straßenbahn.
Eine Kino-Welt mit lauter Dietrichs, Buster Keatons.
Nur Germania hält, am Altmarkt thronend, tonnenschwer,
Eine Wagner-Diva, herrisch sich aus dem Verkehr. 





                                       6

Laß sie ruhn. Wirst nicht mehr finden, was du suchst.
Ordinär, die Kriegsversehrte hat sich taub gestellt.
Nur der Körper kommt hier, ein Inspektor, zu Besuch.
Mutters Mutter, wenn sie traurig war, hat viel erzählt
Von der Stadt im Tal, der heiteren, im Schönheitsschlaf.
Nein, Erinnerung, der Vorrat an Legenden
Ist längst aufgebraucht, und jede Heimkehr wird bestraft.
Vor dem Friedhofstor der blinde Greis mit leeren Händen
Muß nicht hinsehn. Jedes Haus, das dort einst stand,
Kennt der Alte. Alles, was im Feuersturm verschwand.





                                       7

Ist ein Wunderding, kaum daumennagelgroß, ein Kern,
Ausgespuckt von einem Kirschendieb – mehr nicht.
Hab als Kind ihn lang betrachtet im Museumslicht,
Unterm Lupenglas, ein Kleinplanet, auratisch fern.
Großtat eines Juweliers. Ins harte Holz geschnitzt:
Augen schreckengeweitet, lauter schreiende Gesichter,
Ein Inferno auf der Nadelspitze, Tröpfchen, glitzernd.
Kaum zu fassen, da – in nuce – war verdichtet,
Was der Stadt bevorstand demnächst – zum Emblem.
Dresden selbst war jener Kirschkern, aus dem All gesehn. 





                                       8

                                                  „... I did say yes
                                                  O at lightning and lashed rod...“
                                                                            Gerard Manley Hopkins/
                                                                The Wreck of the Deutschland


Schwarzer Schnee. Die Kindheit hat erst angefangen.
Dresden ruht, die ruinierte Stadt, ruht stolz sich aus.
Elbe, träger Fluß, früh auf den Leim gegangen
Bin ich dir. Sah, schlammumspült, das Elternhaus.
Sandstein, Kuppeln – weiß bestäubt, im Winter flößt,
Leidgeprüft, die Stadt mir Scham ein, nichts als Scham.
Rubens, Rembrandt, Raffael – und dann die Blöße ...
Dieser Untergang, der Schund der Melodramen.
Wie lang mag das her sein? Habs vergessen, Leute.
Weiß für Nimmerwiederkehr ein Wort nur: heute.