Auszug aus >Wasserbuch<

Dana Ranga

Freitagnachmittag spielen Witwen und Pfleger Verstecken. Nina flüstert Algennamen auf Polnisch, ihr Vater spricht laut über Rochen und List. Lernt Bildbeschreibung, betrachtet Lysmata, sie putzt für die Löwen, übt sich im Tango mit einem Skelett. Herkunft zählt nicht beim Beischlaf aus Spaß.

Ein Verlobter ruft „Amore, veni“ und lässt sich vor Haien fotografieren. Pixel zerreißen sein Gesicht; brauchen wir diese Erfahrung? Gymnothorax funebris atmet und starrt.

Pop-Art ist Mainstream, säuselt es im Korallenriff, der Pflegerchor klagt farbenblind. Die Witwen kamen zum Rendezvous, ein Flirt mit der Unschuld. Unschicklich wäre es, die Rocklänge zu messen; alle sind jungfräulich vor dem Tod. Bewahrt das Aquarium, sucht einen Sisyphos ohne Last.

Töchter und Söhne, teure Zierfische, silberne Seelen, ein Lächeln tarnt das Gesicht. Sie saugen das Meer auf und spucken es aus und niemand schimpft, niemand klascht.

Begeben Sie sich zum Ausgang, vorbei an Gott und John Dory, dieses Haus schließt für die Nacht. Bevor das Licht in den Becken erlischt und das Leben beginnt, heute mit Bouillabaisse zum Diner, im Kerzenschein. Wer biss der Schildkröte die Füße ab? Es ist nur eine Spiegelung des Guten, ein natürlicher Feind

                                                                                              Aquarium





Ich heiße, man nennt mich, mein-Name-ist. Wir schöpfen Zuversicht aus Reihenfolgen, senke die Stirn.

Fremde Art, unempfänglich für meinesgleichen, Wie-heißt-du. Ich lege mich zärtlich um dich

und höre meinen Namen. Du wiegst dich nach seinem Klang, was bin ich dir ohne ihn? Wir schöpfen Kraft aus Trugschlüssen,

sterben im Spiel, und ziehen sacht am falschen Strang. Und dann Lysmata, immer bereit für einen Dienst,

über den man nicht spricht. Mir immer voraus und im Nachhinein, sein-Name-ist, lobt was war und was sein wird.

Ist dieser Mund nicht rein? Friedhof für Lüge und Wahrheit, in der Mitte deines Kopfes, und meines, niemand

baut in der Nähe ein Haus. Einmal nur, deinen Namen in den Händen zu halten. Du heißt wie ich und man schreibt uns klein

                                                         hippocampus erectus (minor, maior)





Linda, Thomas, macht die Augen zu. Trauert und esst, denn eure Angst wird wachsen. Mittag oder Mitternacht, kein Gesicht

ist stets zu lesen. Wir sind der Widerstand, man irrt nicht immer, wenn man uns folgt. Blendwerk oder Wegweiser, wer stellt ein Licht auf

am Rand der Schlucht? Lasst uns beten und verhören, wir kennen den Weg. Wir halten aus, wir atmen, wir weigern uns, wir atmen,

wir folgen dem Nein, wir atmen, verlangen, verwerfen. Seele der Sagen, arrière-garde des Erreichten, wir sind das Blut, bevor es rot wird.

Wir leisten Widerstand für Beifall, wann werden wir ins Bild gerückt? Für Schutz und Salz, sucht uns einen Namen. Widersteht euren Sinnen,

Flüchen und Schwärmen, wir verbinden Erde mit Wind. Was habt ihr in den Verstecken der Hoffnung verloren? Sonja, Lisa,

lasst euch streicheln. Schließt die Augen, sie nützen euch nichts; in der Tiefe und hier, unter der Decke. Singt euch die Angst vom Leib

und bleibt nackt. Ihr steht im Licht, wer ist der Schönste im ganzen Land? Samten und kalt, unergründlich, stumm.

Schützend, stumm. Esst, widersetzt euch nicht, ihr habe die Korollare der Grausamkeit bestätigt. Esst und rechnet, unser Glaube

misst sich in Lumen, wir leben, weil wir zu sterben wissen. Und wir singen: ein, aus, ein, aus; kleine Heilige, Vision symbiotischer Mönche.

Als man die Liebe ins Meer warf, zersprang sie in Plankton und Licht, sie legte sich auf unsere Lider. Räuber zogen uns herauf

und ließen uns aus den Netzen fallen. In der Welt übt man heute das große Vergessen; Dunkelheit verbindet nicht
                                                           
photoblepharon palpebratus





Verschlingt alles, gibt nichts frei, glückauf, glückab. Unwissen? Vergebung? Es gibt kein Für und Wider,

werden wir uns begegnen, haben wir uns schon berührt. Wer lässt Blicke auf sich ruhen? Wer Licht gibt, wer Licht nimmt.

Ich bin gib-Acht und morgen-vielleicht, ich teile nichts, man gibt mir, und nein, nicht ihr habt mich gefunden, ich fülle euer Herz, ich rausche in den Augen, oben ist unten, ist links, ist rechts, Fingerabdrücke keimen in mir, sie werden, ihr denkt, werdet, bleibt, werdet sorglos, passt euch an, den Fragenden, ich bin die Wellenlänge, die man nicht hört, Erinnerung an rußverhangenem Himmel, ihr habt das Höchstmaß erfunden, in mir gedeiht das Gemeinte, gleichsam geborgen und bedroht, die Seele der Berge und Meere, Reflex und Verneigung, auf die Knie fallen und dann die Hand erheben gegen das Kind, gegen die Mutter, Empfindung des Herzschlags, der Hoffnung auf Sattwerden, sie lieben nur mich.

Sie bricht die Schönheit und träumt von Grenzen. Anpassung, leise Entschuldigung. Schließt oder öffnet die Augen.

Wer klagt? Wer hört? Wer wartet dort? Ganz und nur, beständig hier und dort. Sterne strahlen und sehen nichts

                                                                                              Dunkelheit





Man fragte mich, wollen Sie noch zu ihm; Koordinatenpunkte, seine Augen. Er sagte, es war niemals so, wie ich es wollte,

und ich sagte, Navigation. Er saß aufrecht und wartete, und der Tod wartete, ein Schiff ohne Lichter. Ein Fremder sah mich an,

im Vorbeigehen, sein Hemd war aus Segeltuch, ich war Reling und Tau. Die See, alles und nichts im Sinn, Zweifel in den Mundwinkeln.

Ich dachte an Leinwände, Projektoren, Applaus; und ging langsam weiter. Sein Zimmer, unscharfes Bild, ich habe es nicht gefunden

                                                                                              zeus faber





Verschüttete Milch, Milch für das Kind, Milch gegen den Tod, Milch gegen die Ruhe, warm und weiß und unerträglich, Milchmeer, Milch gegen den Schlaf, gegen das Rufen und den Kuss, Milch zum Vergessen und zum Verlassen, Tropfen wie Silben, ma, und immer wieder, die Kannen, die Tassen, die Nächte, das Süßliche auf der Zunge, im Ohr, in der Dunkelheit, wie weiß die Haut des Tages an dem

                                                                                              petromyzon marinus