An die Abwesenden.

Rasha Khayat

Artwork by Mirza Jaafar


I lost two cities, lovely ones. And, vaster,
some realms I owned, two rivers, a continent.
I miss them, but it wasn’t a disaster.

—Even losing you (the joking voice, a gesture
I love) I shan’t have lied. It’s evident
the art of losing’s not too hard to master
though it may look like (Write it!) like disaster.

 
Elizabeth Bishop


Liebe Abwesende -

Wir sind heute hier zusammen gekommen und schau'n zurück, auf uns, auf was wir waren. Auf mich und wer ich war, mit euch. Und wer aus mir geworden ist, wohin es ging, nachdem ihr gingt.

Gestern las ich Dichtung, ein Gedicht von Elizabeth Bishop und dachte – ja, das bin ich, das sind wir. Oder?

Ihr fehlt mir, jeder einzelne von euch. Ich hab's euch nie gesagt. Ihr fehlt mir. Gegangen seid ihr, würdet wohl sagen, ich hab euch ziehen lassen. Ihr fehlt mir. But it isn't a disaster.

Erlaubt mir deshalb heute, einfach so, mich zu erinnern, an euch alle, nur ein, zwei Minuten lang. Und vielleicht sag' ich dann Lebwohl.

Einer nach der anderen, ich erinner' mich, nur ein, zwei Minuten lang. (Es sei betont: Die Reihenfolge ist nicht wichtig, hat nichts damit zu tun, wer von euch der liebste war, oder am meisten fehlt; das sollt ihr wissen). Es sei betont – euch alle habe ich geliebt (liebe euch), irgendwie.


T.

Der Erste. Weil du der erste warst, der fehlte, der erste, der dann ging. Mir fehlen die Worte. Ich verdanke dir so viel. Deiner Liebe. Verdanke dir – ganz im Ernst – mein Leben, mein Überleben. Es wird mich nie nicht traurige machen, dass du fort bist. Nicht mehr Teil von dem bist, was du damals gesehen hast. Was du mir gewünscht hast. Und was du – im Endeffekt, vielleicht, nicht mit ansehen konntest. Dass du Recht hattest – Ich hab's geschafft. Hab' geschafft, so stark zu sein, genau wie du's gesagt hast. Und ich werd' dir immer dankbar sein, für immer, für alles, was du mir gegeben hast. 

Immer wollte ich die sein, die du in mir gesehen hast. Diejenige, an die ich nur deinetwegen glauben konnte. Und weißt du was? Jetzt ist sie da! Verrückt, oder? Dein Glaube, deine Liebe. Und dann – alles vorbei.

Dein Kopf im Nacken, wenn du lachst – das fehlt mir. Mir fehlt, auf deiner Couch zu sitzen, zwei verschiedene Socken an den Füßen, Zigarette in der Hand, und ganz ich selbst. Muss nichts und niemand sein. Mir fehlen die Computerspiele, fehlen die Smashing Pumpkins und die Whisky-Nächte, vermisse uns an der Bar, verstrickt in Fußball und Kritische Theorie. Mir fehlen deine blauen Augen. Diese Augen --- Zum ersten (und vielleicht letzten?) Mal, dass ich Augen sah, mit so viel Trauer, so viel Wut, und trotzdem voller Liebe und Großzügigkeit.

Mir fehlt der miese Kaffee aus der blauen Maschine. Ich vermisse uns. Vermisse uns und Bowie und deine alte Karre, vermisse all die Orte und die Betten, die wir geteilt haben. Vermisse, wie sicher ich immer bei dir war. Vermisse dich. Den Typen. Den Einen Typen. Meinen Ewigen Typen. Vermisse es, mich klein zu fühlen, bei dir. Vermisse deine Witze, deine Wut, dich als Beschützer. Vermisse deine Stimme am Telefon, vermisse es, mit dir zu tanzen.

I'm happy, hope you're happy too (Ashes to Ashes, Funk to Funky)


N.

Es tut mir alles so unfassbar leid. Tut mir leid, dass ich mein Leben leben wollte. Tut mir leid, dass ich dir damit weh getan hab'. Deine Traurigkeit, die tut mir leid, auch wenn ich nicht dran Schuld war. Ich vermisse uns. Vermisse es, mit dir zu reisen. All die Flieger, Züge, Busse, all die Länder, Leute, Bilder und Geschichten. Weißt du noch, Aleppo? Weißt du noch, Kairo? Weißt du noch, Lisbao („Wir haben alles richtig gemacht!“)?

Erinner' dich mal. Weißt du noch, wie wir die Matratze auf die Terasse geschleppt haben, und dann draußen geschlafen, im 26. Stock, im Kairoer Smog? Ich vermisse uns. Mir fehlt deine Anspannung, deine Kühlheit, dein Verstand. Mir fehlt deine Verwirrung, und manchmal sogar deine verdammte Besserwisserei. Mir fehlt die Freundin, auf die ich immer zählen konnte – konnte nicht mehr auf dich zählen. Das Herz hat's mir gebrochen, dich so trüb zu sehen, an deiner Hochzeit, ausgerechnet. Wir hätten tanzen sollen, Islands in the Stream, konnten am Ende nicht einmal mehr sprechen. Es tut mir so unendlich leid, dass ich dich verletzt hab', und du fehlst. Aber du konntest mir mein Leben nicht mehr lassen. Was hab' ich dir nicht alles gegeben, und nie war es genug, für dich, für die Lücke in dir drin.

I'm happy, hope you're happy too (Ashes to Ashes, Funk to Funky)


B.

Dass du weg bist, tut immer noch am meisten weh. Dachte nie, dass es dazu kommt. Du warst (wusstest du das?) der einzige, für den ich kämpfte, der einzige, der bleiben sollte. Mein bester Freund, mehr Bruder als alles andere, mehr Familie als meine Familie, Herzensmensch der Herzensmenschen. Was haben wir nicht alles geteilt – Lieben, Trennungen, Tode, Orte, Jahre. Fast 20 Jahre. Und du hast losgelassen. Hast losgelassen, als ich dich gebraucht hab, wirklich gebraucht. Du fehlst mir. So sehr. Vermisse das Lachen, das Reden, das Band. Dieses unglaubliche Band zwischen uns. Die Freundschaft. Jemand, der mich so gut kennt, kennt mich jetzt fast gar nicht mehr. Das schmerzt.
Ich hab' mir das nicht ausgesucht. Hab's versucht. Du hast entschieden, wegzubleiben. Und jetzt – jetzt sind wir uns fast fremd, zwei-, dreimal im Jahr telefonieren, ein einziges Treffen gab es letztes Jahr. Was ist passiert, B.? Haben wir uns einfach für getrennte Wege entschieden? Wege zu unserem eigenen Glück? Wege, so unterschiedlich, dass wir uns abhanden gekommen sind? Ich hab's versucht. So sehr. Dachte, wir könnten Freunde bleiben, trotz all der Unterschiede. Aber du hast dich auch entschieden. Hast entschieden, zu glauben (glaubst du wirklich?), dass das neue Leben wichtiger ist als die alte Freundin, deine Schwester. Vielleicht wolltest du auch glauben, dass es gar nicht mehr dieselbe Schwester ist, derselbe Mensch. Ja, da ist was Wahres dran. Vielleicht ging das alles viel zu schnell, zu viel Veränderung in zu kurzer Zeit.
Vielleicht sagt die Natur uns so: Ihr zwei, ihr gehört zu einem anderen Leben.
Ist schon okay. Heißt aber nicht, dass ich nicht traurig bin. Heißt nicht, dass du mir nicht fehlst.

I'm happy, hope you're happy too (Ashes to ashes, Funk to Funky).


A.

Mit dir ist mir die tägliche Partnerin abhanden gekommen. Der eine Mensch, so nah, ganz unmittelbar, jeden Tag im Leben der anderen. Haben uns unterstützt, Struktur gegeben, gekümmert. Das war gut, hat geholfen, war vor allem praktisch. Dann hat sich was verschoben, letztes Jahr. Hab mich festgenagelt gefühlt von dir, fest gesteckt. Hast mich zu eng gehalten, war für mehr verantwortlich als die Freundin zu sein, die hier und da mal hilft. Hast mich zu sehr gebraucht. Und bist verschwunden, gleichzeitig, irgendwie. Bist unsichtbar geworden, hast niemanden rangelassen, niemand sollte dich sehen. Hast dich ganz seltsam verhalten, gefordert und gegiert, hab mich benutzt gefühlt. Als wäre „Freundschaft“ jetzt ein Job, der mir nicht liegt. Aus dir strahlte nur noch Dunkelheit. Hast geklagt und erklärt, dich beschwert, genervt und niemandem vertraut. Dich um mich zu haben, war kaum auszuhalten, so sichtbar grau und trüb. Und ich sollte es richten, so kam's mir vor. Hast mich nie gefragt, wie es mir geht. Hatte keinen Platz mehr, keine Luft mehr zum Atmen.
Trotzdem tut's mir leid, das es so kam. Tut mir leid, dass wir nicht ehrlich sein konnten.

I'm happy, hope you're happy too (Ashes to Ashes, Funk to Funky).


Ihr alle -

Wenn ich sage, ihr fehlt mir – ich mein' das ernst, und ja, ich vermisse euch. Trotzdem will ich nicht zurück. Trotzdem bereu' ich nichts. Kein Bisschen. Alles, was war, jeder Schritt die letzten paar Jahre, alles würde ich wieder tun, jeden einzelnen Schritt. Auch im Bewusstsein um den Preis, um euch alle. Es war richtig, es war gut und das Beste, was ich mir selbst jemals getan hab'. Hab mir ein Leben gebaut, bin stolz, endlich. Trotzdem heißt das nicht, dass ich nicht traurig bin. Traurig, dass ihr, warum auch immer, nicht mitgegangen seid, mich begleiten, bleiben konntet. Ihr fehlt mir alle, der eine mehr, die andere weniger. Uns're Zeiten fehlen mir.

Aber wisst ihr, wer nicht fehlt? Mein altes Ich, die damals war, damals, als wir uns so nah waren. Unglücklich, einsam und leer. Dank euch – weniger Unglück, weniger einsam. Wir waren zusammen einsam, meistens, zusammen unglücklich. Und dann, dann hab' ich das Schiff verlassen. Hab' versucht, zum ersten Mal, tatsächlich, was aus mir zu machen. Hab versucht, glücklicher zu werden, heller in mir drin. Und es tut mir so unendlich leid, dass euch das verletzt hat. Es tut mir leid, dass ich nicht zurück kommen konnte, tut mir leid, dass ihr euch betrogen gefühlt habt. Tut mir leid, dass ihr glaubtet, mir sei alles egal.

Das ist nicht wahr. Es war mir nie egal. Im Gegenteil. Ist es mir noch immer nicht. Konnte aber  nicht mehr umdrehen, war zu weit voraus, Längst woanders. Konnte nicht umdrehen, zurück zum Unglücksschiff. Ich hab' mich entschieden zu gehen, und vielleicht müssen wir uns deshalb trennen.

Der große Fisch im kleinen Teich. Der Teich war einfach zu klein geworden. Der Fisch konnte nicht mehr schwimmen, sich nicht bewegen, nicht mehr atmen (Wie atmen Fische nochmal?). Lange gab's kein Weg zum Ozean. Angst vor'm Ozean, womöglich. Aber nun ist er da – der Ozean, das Meer. Mein Ozean. Schwimme, atme, lebe. Mutig lebst du nicht für immer, aber zaudernd lebst du nie.

Ich bereue nichts. Aber es tut mir leid, euch verletzt zu haben. Und ihr fehlt mir. Ganz ehrlich.

Wir sind andere Menschen jetzt, wir alle. Haben andere Wege gewählt, andere Leben. Und wir wissen ja – man kann nicht nach vorne gehen, zurück schauen und am gleichen Ort bleiben. So geht es einfach nicht. Müssen loslassen, was uns zurück hält.

Die einzige Richtung, die Gott uns gegeben hat, ist Vorwärts, sagt Kurz Vonnegut. Und das stimmt auch. Das bedeutet aber nicht, dass dieser Brief, dieses Lebwohl mich nicht auch traurig stimmt.

(No disaster)