Helden

Ewald Palmetshofer

Artwork by Miko Yu

Personen:
David und Spiderman             ein Student Mitte Zwanzig
Judith und Catwoman            seine noch nicht ganz wahlberechtigte jüngere Schwester
Doris                                        Mutter von David und Judith, eine Französisch- und Turnlehrerin
Wolfgang                                  Vater von David und Judith, ein durchaus gut situiertes Redaktionsmitglied eines Fotografiejournals
Paul                                          ein Wirtschaftsuni-Absolvent Mitte Zwanzig, mittlerweile Bankangestellter und in und jeder Hinsicht Freund der Familie
Sprecher                                   Stimme eines Nachrichtensprechers des Aktuellen Dienstes

Ort:
Ein Einfamilienhaus irgendwo in einer Vorstadt


Szene 1
Die Szenen dieser Ebene(1, 3, 9, 13, 18) sind nicht als Traumsequenzen zu inszenieren. Ich schlage eine hollywoodeske, ästhetische Überhöhung vor.

Dunkelheit. Leerer Raum. Rauschen. Dann tastet ein Suchscheinwerfer den gesamten Raum ab. Währenddessen:

Stimme eines Nachrichtensprechers aus dem Off.

SPRECHER: Zum Schluss noch einmal zurück ins Inland. Der heimische Handel darf wieder aufatmen. Knapp zwei Monate lang ist es nicht mehr zu Brandanschlägen auf heimische Geschäfte und Einkaufshäuser gekommen.

Diese Serie von Anschlägen hatte die Exekutive fast ein halbes Jahr lang in Atem gehalten. Knapp eindutzend Geschäfte und Einkaufshäuser waren von Brandbomben, so genannten Molotowcocktails, verwüstet worden. Der Aktuelle Dienst berichtete ausführlich.

Die zuständigen Sicherheitskräfte werten das Abklingen der Brandbombenserie als außerordentlichen Erfolg. Oberst Leutnant Wolf von der Bundespolizeidirektion lobt diesbezüglich die erstklassige Zusammenarbeit von Polizei und privaten Wachdiensten. Die gezielte Observation linksradikaler Kreise und die verstärkte Präsenz von Sicherheitspersonal auf den Einkaufsstraßen hätten sich als hervorragendes Mittel zur Verhinderung neuerlicher Anschläge erwiesen. Trotz dieses Erfolges bitten die Sicherheitskräfte die Bevölkerung weiterhin um verstärkte Wachsamkeit. Eine endgültige Entwarnung will man, solange die Täter nicht gefasst sind, vorerst nicht geben.

Mit dieser Meldung sind wir auch schon wieder fast am Ende unserer Sendung angelangt.

Bevor uns Konstanze Breitfelder im Wetterstudio den aktuellen Wetterbericht präsentiert noch eine kuriose Meldung zum Abschluss.

Die Superhelden kommen. Wie dem Aktuellen Dienst von anonymer Quelle übermittelt wurde, bereite man sich in einschlägigen Kreisen auf die Ankunft von Spiderman und Catwoman vor. Die beiden Superhelden würden—so heißt es—mit einer politischen Aktion ans Licht der Öffentlichkeit treten. Ein genaues Ankunftsdatum von Spiderman und Catwoman ist allerdings noch nicht bekannt. Warten wir halt gespannt auf zwei neue politische Quereinsteiger. Aber keine Angst. Sind ja nur Comic-Helden.

Verehrte Zuseherinnen und Zuseher, der Aktuelle Dienst verabschiedet sich. Ich danke Ihnen fürs zuschalten. Verbringen Sie noch einen angenehmen Abend und bleiben Sie uns gewogen. Gute Nacht.

[Wieder Dunkelheit. Rauschen. Vielleicht Musik.]


SZENE 2
JUDITH und ihre MUTTER sitzen schweigend am Tisch. JUDITH lackiert sich die Zehennägel. Die MUTTER liest in der französischen Fassung eines Bestsellerkrimis. Am Tisch liegt eine Platte mit Gemüseleibchen. JUDITHs Teller ist noch fast unberührt. Stille. DAVID und der VATER treten auf.

JUDITH: David! Hallo.

MUTTER: David! Grüß dich. Lass dich drücken. Hallo Wolfgang.

VATER: Doris, Servus.

MUTTER: David, gut schaust aus. Wirklich.

DAVID: Danke.

JUDITH: Hallo Bruderherz!

DAVID: Judith, hi!

JUDITH: Lass dich drücken. Komm her. Drücken. Bussi. Drücken. Gut schaust aus...Alles erledigt?

VATER: Und ob. Alles erledigt! Nicht wahr, David?

MUTTER: David, hast Hunger?

DAVID: Nein.

MUTTER: Wolfgang, du? Ist aber schon leicht kalt.

VATER: Doris, danke. Ich hab schon im Büro. Und außerdem...Du, danke.

MUTTER: Macht ja nichts.

VATER: Und, David? Erzähl's der Mutti. Der David hat eine frohe Botschaft.

JUDITH: Eine frohe Botschaft. Geil.

DAVID: Naja.

VATER: Tu nicht so. Kann man schon stolz sein, David. Also.

MUTTER: Ihr zwei Männer. Ihr seid ja wirklich...Das gefällt euch. So ein Geheimnis. Das gefällt euch.
David! Jetzt erzähl schon. Bitte.

VATER: David, sag's.

JUDITH: David, jetzt sag's schon. Die Mutti ist neugierig.

MUTTER: Was heißt neugierig. Bitte...Ich mein...Das ist mein Sohn. Das interessiert mich halt. Oder? Ich mein. Das wär ja auch komisch, wenn's mich nicht interessieren würd. Oder? Also neugierig kann man das echt nicht nennen. Mich interessiert das halt. Was du immer hast, Judith.

VATER: Doris.

JUDITH: David sag's ihr.

VATER: David, jetzt sag's schon. Sonst sag's ich.

DAVID: Ich hab bestanden. Die Prüfung gestern. Fehlt nur mehr die Abschlussarbeit und dann...

MUTTER: Ja David, das ist ja super!

VATER: Gell, Doris. Jetzt geht's dem Ende zu beim David. Jetzt geht's dem Ende zu. Endlich. Naja. Du hast ja auch immer nebenbei sehr viel...Ich mein. So was, also, sich engagieren, das ist ja auch was Gutes. Oder? Sicher, das frisst Zeit. Das muss einem schon bewusst sein. Aber...Irgendwer muss sich ja auch...Also...Sich einsetzen. Drum haben die Mutti und ich da auch nie was dagegen...Weil sich engagieren...Ich mein. Das ist ja auch eine positive Erfahrung. Auch für später. Das kann man schon verwerten. Positiv. Das ist sicher nicht schlecht. Drum haben wir da auch nie was dagegen...Die Mutti und ich. Weil. Also. Das passt schon so. Hat halt viel Zeit...Also...

MUTTER: Aber David. Das freut mich echt. Ich hab ja gar nicht gewusst, dass du eine Prüfung...Aber so was sagst uns ja nie.

JUDITH: Mir schon. Ich hab's gewusst.

MUTTER: Das wissen wir, Judith, dass ihr zwei einen Draht habt.
Naja. Er hat ja früher auch nie was gesagt. Ich hab oft nicht mal gewusst wann er Schularbeit hat. Wenn mir nicht die Kollegen in der Schule gesagt hätten...Ich hätt gar nichts gewusst. Weil er immer so selbständig...Der David war immer so selbständig. Der hat sich alles alleine. Alles. So ein selbständiges Kind. Das hab ich noch nie gehabt...In der Schule. Schön ist das, David. Jetzt ist nur mehr die Abschlussarbeit. Das ist wirklich schön. Das ist jetzt sehr schnell gegangen.

VATER: Naja. Wenn man sich dann nur mehr auf eines konzentriert. Dann geht das schon. Da muss man sich halt mal zurücknehmen. Mal die anderen vorlassen. Sollen sich mal die anderen engagieren. Dann geht das schon, wenn man mal die anderen...Naja. Jedenfalls, David. Das ist wirklich eine frohe Botschaft.

JUDITH: Amen!

MUTTER: Judith. Wir freuen uns halt.

JUDITH: Ich mich auch.

DAVID: Und wie geht's euch?

MUTTER: Uns? Uns geht's gut! Sehr. Gell, Judith? Also der Judith und uns. Uns geht's gut. Die Judith lernt fleißig. Die holt das nach. Der geht's wirklich gut, der Judith. Nicht wahr? Und der Wolfgang und ich. Also. Der Papa und ich...Ja. Uns geht's auch...Also. In der Schule geht's wirklich...Und im Büro vom Papa...Ja. Uns geht's gut. Wirklich ganz gut. Sehr. Aber ich freu mich jetzt gerade noch so. Schön ist das, David. Und der Papa kann da sicher im Büro was machen. Oder? Wolfgang?

VATER: Mal schauen. Da muss man halt dann auch das mit deinen anderen Sachen...Dass du dich so engagiert hast...Also...Das muss man halt gut verkaufen, dass das bei dir halt länger...Weil der Juniorchef. Also...

MUTTER: Das ist eine Freude, David. Wirklich.

[DAVID nimmt sich mit den Fingern ein Leibchen von der Platte.]

VATER: Ich geh in die Badewanne. Doris, kommst du auch?

[VATER geht ab.]

MUTTER: Gleich, Wolfgang.
Und? Schmeckt's dir?

DAVID: Ja.

MUTTER: Judith. Dir schmeckt's nicht, oder?

JUDITH: Nein.

MUTTER: Naja. Tut mir Leid.

JUDITH: Kannst ja du nichts dafür.

MUTTER: Naja. Hätt ja auch was anderes kochen können. Tut mir wirklich Leid. Hätt's ja wissen können. Ich weiß auch nicht. Manchmal bin ich halt...

JUDITH: Mutti!

MUTTER: Judith...Macht ja nichts. Muss ja nicht jedem alles schmecken. Ich mein. Wenn's dir nicht schmeckt, dann isst du's halt einfach nicht.

[Stille. JUDITH legt die Füße auf den Tischrand und bläst den Lack trocken. Die MUTTER wirft ihr einen Blick zu. JUDITH nimmt die Füße wieder vom Tisch.]

MUTTER: Nein. Lass ruhig. Ich seh das gar nicht. Naja. Wenn mich wer braucht. Ich bin in der Wanne.

[MUTTER geht ab.]

JUDITH: Die geht mir so am Arsch. Mir hat's einfach nicht geschmeckt. Dieser Dinkelscheiß schmeckt mir nicht. Mir schmeckt das nicht. Hast du's gemerkt? Hast du's gemerkt? So was von typisch. Ich mein. Gibt's das? Ist das ein Grund zum Heulen, ha? Sag's mir? Ist das ein Grund? Solls halt zum Heulen anfangen, wenn sie das so traurig macht. Das ist ein Grund zum Heulen! Wirklich. Und was für einer! Wenn der Judith das Essen nicht schmeckt. Bitte! Solls halt heulen.

DAVID: Die hat ja gar nicht geheult.

JUDITH: Nein. Aber fast.
Du musst ja nicht bei denen, David. Ich sag's dir. Das ist eine Schaumstoffzelle. Ich leb in einer Schaumstoffzelle. Irgendwann schluckt mich das. Sie muss immer heulen. Und er ist so gestresst. Dann heult sie für ihn gleich mit. Zum durchdrehen. Echt. Und du hast keine Zeit. Nur mehr lernen. Und ich? Was mach ich? Das waren jetzt acht Wochen, David. Wir müssen wieder...Ich komm zu dir. Ich komm auf Besuch, David! Okay? Wieder engagieren.

DAVID: Engagieren. So nennt der das. Ich hab mich so zurückhalten müssen.

JUDITH: Ich muss mich dauernd zurückhalten. Immer zusammenreißen. Weißt wie ich mich in den letzten Wochen zusammengerissen hab? Wenn nicht der Paul...

DAVID: Bitte wer?

JUDITH: Ja. Der Paul. Das hat sich so...Ja, das hat sich halt ergeben. Ich mein. Ich muss ja auch irgendwie...Du hast nie Zeit. Und ich muss ja auch...Ich mein...Ja! Nichts Ernstes.

[Stille.]

JUDITH: Wann kann ich denn kommen? David? Wann?

DAVID: Wenn die Abschlussarbeit fertig ist.

JUDITH: David! Verarsch mich nicht! Ich mein das ernst. ICH halt hier die Stellung, oder? In dieser scheiß Zelle. Mich schluckt das. Ich brauch Urlaub, David. Und du verarschst mich.

DAVID: Judith...

JUDITH: Nix „Judith"! Ich werd schon ganz durchsichtig.

DAVID: Komm her. Du. Nächste Woche mal. Okay?

JUDITH: Weißt wie die mich immer drückt. So wie bei dir vorher. Ich lass sie aber nicht mehr. „Ich erdrück dich mit meiner Liebe. Ich erdrück dich. Du entkommst mir nicht. Ich drück dir das Genick ab vor lauter Liebe!" Pfui Teufel. Da kommt's mir. Echt. Da kommt's mir. Soll ich dir was sagen? Das war ein Fehler. Das war der größte Fehler überhaupt. Ich war so naiv damals. So naiv. Echt. Ich sag ihr das. Ich erzähl ihr das noch. So naiv! Mutter und Tochter. Frauen. Das ist eine Bindung. Das ist eine Energie. Ein Scheiß ist das! Das ist das schlechte Gewissen! Sonst nichts. Wie kann man nur so naiv sein und so was erzählen. Ich mein...Und dann sag ich ihr noch, dass sie sich keine Sorgen machen muss, weil ich jetzt eh in Therapie bin.

DAVID: Naja. Das ist hart. Zwei Kinder in Therapie. Das ist verdammt hart. Da fragt man sich schon: „Was haben wir falsch gemacht?" Ich mein...Judith. Schau uns an...Da fragt man sich schon...

JUDITH: Und da muss man gleich wieder heulen. Weil das ist ja so traurig.

DAVID: Weiß ER das auch?

JUDITH: Na, was glaubst? „Sag nichts dem Papa. Das kann ich ihm gar nicht sagen."

DAVID: „Nein, sag's ihm nicht. Judith. Nichts sagen. Der Papa, der hat so teure Nerven. Nichts sagen. Was die Nerven gekostet haben. So neue Nerven. Nichts sagen."

JUDITH: Ich erzähl überhaupt nichts mehr. Mir geht's scheiße, sie macht sich Sorgen, ich mach mir Sorgen, weil sie sich Sorgen macht, und mir geht's noch mehr scheiße. Das ist ja...Echt...Ich könnt die Zigaretten heut wieder fressen. Und hat sie was gemacht? Ha? Hat sie irgendwas gemacht für mich? Nein. Heulen. Sonst nichts. Ich könnt verrecken neben denen und die stehen da und schauen mir zu. Sie heult und er geht baden. Schaumgebremste Riesenbabys.
Ich erzähl ihr das...echt...

DAVID: Tja, Judith. Man muss sich alles selber machen.

JUDITH: Genau. Alles selber machen.

DAVID: Das war unsere Geburtsstunde, Judith.

JUDITH: Unsere Geburtsstunde. Mein schlaues Bruderherz. Auf was für Ideen der kommt. Unsere erste Aktion.

DAVID: Irgendwer muss sich ja. Also...sich engagieren...„Sich einsetzen".

JUDITH: Wie das Schwein geschaut hat. Wie der geschaut hat. Wie wir in der Nacht vor seinem Bett steh'n. Und er kann gar nichts sagen.

DAVID: Weil sein Mund: der ist zugeklebt.

JUDITH: Und er kann sich auch nicht rühren.

DAVID: Weil die Handschellen.

JUDITH: Und dann macht's „Klick". Und dieses Vorhängeschloss legt sich geschmeidig um sein Schwänzlein und sein Sacki.

DAVID: Der geht keiner mehr an die Wäsche, die grad keine Lust hat.

JUDITH: [Sie geht zur Stereoanlage, schaltet sie ein und sucht eine CD.]
Ich hab ja wirklich keine Lust gehabt auf der Party.

[Stille.]

JUDITH: Das erste Mal ist immer am Schönsten. Das war wirklich was Besonderes, David. Unsere erste Aktion. Unsere Geburtsstunde. Das erste Mal.

[MUTTER tritt auf. Sie hat ein langes Badetuch um den Körper geschlungen.]

MUTTER: Na, wie geht's meinen zwei Helden? Erzählst gerade vom Pauli?

JUDITH: Ich muss aufs Klo.

MUTTER: Warum gehst denn, wenn ich komm?

JUDITH: Weil ich aufs Klo muss.

[JUDITH geht ab.]

MUTTER: Weißt du, warum die Judith immer so arg zu mir ist? Das tut schon weh. Ja! Natürlich macht man Fehler. Ja natürlich! Man macht immer Fehler. Aber sie nicht! Nein, sie nicht! Die ist doch in Therapie. Oder? Und, sag ich was? Nichts sag ich. Hab ich einmal was gesagt? David? Ha? Hab ich einmal was gesagt? Ich sag nichts. Nichts sag ich! Trau dich bei der! Trau dich. Die hat ein Mundwerk wie ein Schwert.

DAVID: Ich find das gut!

MUTTER: Was? Das die so arg redet mit mir?

DAVID: Das mit der Therapie.

MUTTER: Geht's ihr besser? David, geht's ihr besser? So schlecht ist es ihr doch gar nicht gegangen! Sie hat das doch...Das hat sie doch alles...So was überwindet man. Da muss man stark sein. Ich versteh das nicht. Es geht ihr doch nicht schlecht! Aber bitte. Ich hoff, das bringt was. Aber ihr geht's doch nicht schlecht. David? Geht's ihr so schlecht. Ich glaub nicht, dass es ihr so schlecht geht!

DAVID: Nein.

[Sie schaut DAVID an, öffnet das Badetuch und bindet es neu.]

MUTTER: Passen die Haare da hinten?

DAVID: Ja. Ich geh schlafen. Gute Nacht. Bis morgen.

[DAVID ab.]

MUTTER: David, schlaf gut. Und „Alles Gute". Ja?. Ich gratulier dir. Schlaf gut.                               

[Die MUTTER legt sich auf die Couch und liest wieder in ihrem Buch.] 


SZENE 3
Dunkelheit. Rauschen. Ein Suchscheinwerfer. SPIDERMAN und CATWOMAN tauchen auf und verschwinden wieder. Währenddessen:

Stimme eines Nachrichtensprechers aus dem Off.

SPRECHER: Die Ankunft der Superhelden. Wie bereits vom Aktuellen Dienst exklusiv berichtet, kündigen Insiderkreise die Ankunft von Spiderman und Catwoman an. Nach diversen Unkenrufen über die Entbehrlichkeit eines neuen Quereinsteigerduos auf der politischen Bühne melden sich nun die beiden Superhelden selbst zu Wort. In einer Pressemitteilung geben Spiderman und Catwoman, deren Identität noch geheim ist, bekannt, dass schon in den nächsten Tagen mit ihrer Ankunft zu rechnen sei. Geplant sei—ich zitiere: „...eine Serie von Aktionen mit generationsübergreifender Sprengkraft. Wir [also Spiderman und Catwoman] tragen die Ressourcen einer neuen Politik. Die Welt wird gecoacht—auf unsere Art—und kein Stein bleibt auf dem anderen. Die Zeit ist reif. Jetzt und schon lange, bevor es richtig weh tut, besser heute als morgen, solange die Welt noch steht. Wir werden ein globales Erwachen einleiten, für die Jungen und die Alten. Der Weizen wird von der Spreu getrennt und die Schläfer werden erwachen oder brennen." Soweit die Pressemitteilung der Superhelden. Diese, offenbar bewusst offen formulierte Mitteilung, hat gleich nach ihrem erscheinen für Aufregung und Querelen zwischen den Parteien gesorgt. Die Bundesregierung hält—um eine Stellungnahme gebeten—diese Aussendung für einen geschmacklosen Scherz anarchistischer Netzwerke. Der Vizekanzler warte gespannt darauf, dass sich die Ankunft der Superhelden als oppositionelle Medienfarce entlarven werde. Sprecher der Opposition haben sich umgehend von Spiderman und Catwoman distanziert und jeden Zusammenhang mit deren mutmaßlichen Ankunft vehementest dementiert.

Soviel also zu zwei neuen Sternen am politischen Himmel. Spiderman und Catwoman. Nun aber zur Kultur.

[Eine Alarmsirene ertönt. SPIDERMAN und CATWOMAN sind verschwunden. Dunkelheit.]


SZENE 4
DAVIDJUDITH und die MUTTER beim Frühstück.

MUTTER: Wie geht's denn dem Paul!

JUDITH: Gut, glaub ich.

MUTTER: Ich bin ja wirklich froh.

JUDITH: Warum?

MUTTER: Na, dass der Paul und du...Der ist echt ein Lieber. Viel bessermals der Robert. Viel besser. Der war echt ein Hammer, der Robert. Wir haben ihnmsowieso nie...Aber. So was muss man selber...

JUDITH: Naja. Wenn man so dumm ist und sich so wen wie den Robert nimmt.

MUTTER: Sag ich ja nicht. Sag ich gar nicht. Aber der Paul, der ist echt ein Lieber.

JUDITH: Stimmt. Der Paul ist okay. Und wirklich besser als der Robert. In jeder Hinsicht.

MUTTER: Aha. Der Paul. So einer ist der. In jeder Hinsicht. Naja. Der Paul.

JUDITH: Kein Scheiß. Der ist echt...Nein. Das sag ich jetzt nicht.

MUTTER: Judith! Da frag ich jetzt nicht nach. Aber super, wenn's dir mit dem Paul gut geht. Und solche Sachen sind ja auch nicht unwichtig. Der Papa und ich-

JUDITH: Nein. Das ist nicht unwichtig. Da hast Recht. Der Paul ist super im Bett.

MUTTER: Das freut uns echt. Das freut uns wirklich, Judith. Dass es dir mit dem Paul so gut geht. Du hast ja auch nie mit dem können, oder, David?

DAVID: Mit dem Pauli?

MUTTER: Nein. Mit dem Robert. Der war ja nicht ganz dicht.

DAVID: Nein.

MUTTER: Aber mit dem Andi. Mit dem hast dich verstanden, oder? Der Papa hat den Andi gern gehabt. Also: gern. Ich mein...Der Andi, der war wirklich...

JUDITH: Mutti!

MUTTER: Ich sag ja nur. Der Andi...

JUDITH: Mutti, du weißt überhaupt nichts über den Andi. Der war genau so ein Psycho.

MUTTER: Echt? Aber der Andi...Naja. Weiß nicht. Schad. Ich hab geglaubt, der war nett. Was soll ich denn morgen kochen?

DAVID: Weiß ich nicht.

JUDITH: Mir egal.

DAVID: Sag nicht „mir egal". Dann schmeckt's dir wieder nicht.

JUDITH: Sag mal. Ich mein. Ich fress überhaupt nichts mehr, wenn's euch nicht passt.

MUTTER: Ich frag ja nur, was ich kochen soll. Judith. Was magst denn? Magst einen Wok?

JUDITH: Ja.

MUTTER: Dann koch ich einen Wok. Dass man soviel rauchen kann wie ihr zwei.

DAVID: Geh Mutti.

MUTTER: Ich sag doch nichts. So ich muss. Ich hab Gangaufsicht. Bis später.

[MUTTER geht ab.]

DAVID: Bis dann.

JUDITH: Was war denn das jetzt?

DAVID: Was?

JUDITH: Na das mit dem Essen. Dass mir nichts schmeckt. Du bist echt ein Schleimer!

DAVID: Na und du? Ha? Was bist du?

JUDITH: Ich schleim überhaupt nicht!

DAVID: Genau. Du schleimst nicht. Aber vom Pauli erzählst ihr schon gern, oder?

JUDITH: Ja und?

DAVID: Na überleg mal? Ha! Kann das sein, dass das vielleicht ein bisschen komisch ist?

JUDITH: Find ich nicht.

DAVID: Dass du vor deiner Mutter dein Sexualleben...

JUDITH: Also bitte. „Sexualleben". Was ist da Sexualleben. Ich hab nur gesagt, dass der Paul...Okay, ja: Sexualleben. Aber keine Details. Ich mein. Ich will das vielleicht auch mit wem teilen.

DAVID: Dass der Pauli dich besser fickt.

JUDITH: Sag spinnst du?

DAVID: Aber darum geht's, Judith. Dass er dich besser fickt.

JUDITH: Sag's noch ein paar Mal!

DAVID: Gern. Der Pauli fickt dich besser. Und die Mutti freut sich.

JUDITH: Genau. Der Paul fickt mich besser. Ganz genau. Und wie. Der fickt mich so gut, das kannst du dir in deinem Sexualleben gar nicht vorstellen. Der fickt wie ein Gott. Scheiße, oder, wenn man kein Sexualleben hat?

DAVID: Da hab ich lieber keins.

JUDITH: Hast auch nicht, David. Leider.

DAVID: Mich kotzt das an, Judith. Du machst das immer! Und ich sitz daneben und grins brav. Du breitest dein Sexleben aus. Und ich? Ha? Was ist mit mir? Fragt mich wer?

JUDITH: Willst das? Soll ich dich heut beim Abendessen fragen?

DAVID: Judith. Wehe! Das ist ganz allein meine Show! Meine!

JUDITH: Okay. Ich halt mich zurück. Versprochen.

[Stille.]

DAVID: Judith, ich...Weißt...Je durchsichtiger du wirst, desto mehr werd ich zum Vakuum. Mich zieht's zusammen. Ich werd zum Punkt. Nicht nur vor denen. Überhaupt. Du lasst alle reinschauen. Lasst alle rein. Machst dich durchsichtig. Wie Glas. Und ich. Ich lös mich auf.

JUDITH: Ich mich auch.

DAVID: Nein. Anders, Judith. Ich bin ein einzelner Kopf. Nur Kopf. Schwerelos im Universum. Um mich herum nichts. Alles leer. Und in meinem Kopf ein Vakuum. Dann macht's „Plopp" und ich bin weg. Ein Punkt, der verschwindet. Und weg.

JUDITH: Du bist der Kopf und ich der Bauch.

DAVID: Ich bin nicht nur Kopf! Das weißt du ganz genau, Judith!
Unsere Sollbruchstellen. Die sind anders. Ich brech nach innen, Judith. Du nach außen. Du kannst explodieren. Nach außen. Aber ich. Bei mir geht's nach innen. Ich explodier nicht, Judith. Ich implodier.

JUDITH: Wir sind zu zweit, David. Zu zweit brechen wir nach außen. Zu zweit explodieren wir. Zwei Bomben. Was tät ich ohne dich? Wen würd ich anrufen? Ha? Wen?

DAVID: Den Pauli.

JUDITH: Der Pauli...Das ist was anderes. Ich werd dich immer anrufen. Wir sind ein Team. Helden, David. Du und ich. Wir zwei. Spiderman und Catwoman. Du und ich. Wir sind Helden, David. Schon immer. Ich die geile Catwoman. Die super geile Catwoman. Die geilste Katze überhaupt. Die macht SO und kratz den Typen die Augen aus. Ich hab die alle SO an den Eiern. Und du der Spiderman. Der super sexy Spiderman.

DAVID: Sexy...

DAVID: Okay. Du bist die Spidersau. Die harte Spidersau, die kurzen Prozess macht. Die kein Tabu kennt. Der sie alle fertig macht. Der nach außen bricht. Der ausbricht. David. Du hast Eier. Du bist die Spidersau! Mit dir geh ich hoch.

DAVID: Der Spiderman hat Eier. Und was für Eier. Wir zwei, Judith. Spiderman und Catwoman. Ich brech aus.

JUDITH: Du bist mein Held, David. Mein Held. Und ich schau dir so gern zu, wie du durchlässig wirst, wie deine Ressourcen kommen, wie sich dein Privatleben aufmacht für die Politik, wie du den Spiderman reinlasst.

DAVID: Und du die Catwoman. Keinen mehr reinlassen, Judith. Sichtbar werden. Rausgehen. Rausgehen und hochgehen. Wir zwei.

JUDITH: Nur mehr die Abschlussarbeit, David. Jetzt kehren die Helden zurück. Jetzt kommen wir so richtig.

DAVID: Wir sind Helden, Judith. Komm her. Du bist total schön.

JUDITH: Wir sind Helden.


SZENE 5
Abend. DAVID und die MUTTER sitzen im Wohnzimmer. Der Fernseher läuft. Die MUTTER liest wieder in ihrem Krimi.

DAVID: Wann kommt der Papa?

MUTTER: Jeden Moment. Warum?

DAVID: Nur so.

[Stille.]

MUTTER: Sag, wie geht's dir so?

DAVID: Gut. Viel zum Lesen eben. Abschlussarbeit. Naja.

[Stille.]

MUTTER: Und sonst?

DAVID: Was?

MUTTER: Na, wie geht's dir sonst so?

DAVID: Gut.

MUTTER: Schön.

[Stille.]

MUTTER: Wie geht's der Johanna?

DAVID: Auch gut. Wieso?

MUTTER: Nur so. Und was macht die, die Johanna? Die hat keinen Freund, oder?

DAVID: Nein. Aber die ist wirklich eine ganz Liebe. Total. Voll lieb.

MUTTER: Wirklich? Naja. Die Johanna.

[Stille.]

MUTTER: Schad, dass das mit der Tanja damals nicht...Naja. Du hast ja gar keine Zeit, oder? Du musst immer soviel Lernen. Hast ja gar keine Zeit. Für so was. Manchmal denk ich mir: wenn's bei dir auch so kompliziert wär wie bei der Judith. Zwei von der Sorte. Da hab ich lieber fünf Buben als ein Mädel. Jetzt kommt der Papa.

[Vater auf.]

DAVID: Und, wie war's.

VATER: Wie halt so Redaktionssitzungen sind. David, der Paul lässt dich grüßen.

MUTTER: Grüß dich, Wolfgang.

DAVID: Der Pauli? Wie kommst du zum Pauli?

VATER: Wir waren nachher noch was trinken. Und da kommt der Paul her. Hat mich extra gefragt, wie's dir
geht. Extra. Kommt her uns fragt mich, wie's dir geht. Der kommt extra her. Der hat sich echt interessiert. Hat bisschen erzählt. Von sich. Kann sich gut verkaufen. Guter Redner, der Paul. Hat extra gefragt nach dir.

MUTTER: Der war ja mit dem David in der Klasse.

VATER: Wer? Der Paul?

MUTTER: Ja. Stimmt doch, oder? David? Hallo! Stimmt doch? Oder?

DAVID: Ja.

VATER: Warum hast das abreißen lassen?

DAVID: Was?

VATER: Na, das mit dem Paul? Warum hast das abreißen lassen? Der hat extra gefragt.

DAVID: Was hab ich denn abreißen lassen, Papa? Was denn?

VATER: Also ich hab kein Problem mit dem Paul. Warum du immer alles abreißen lasst. Du brauchst dich nicht wundern. Wenn du immer alles abreißen lasst.

DAVID: Was „wundern"?

VATER: David. Wo sind deine Freunde? Wo? Du lasst doch immer alles abreißen. Der Pauli hat extra gefragt.

DAVID: Der hat sicher seine Gründe.

VATER: Was soll der für Gründe haben?

MUTTER: Der interessiert sich halt. Der Pauli ist echt ein Lieber.

VATER: Wen hast denn du? Ha? Wen denn? Wen hast du, außer uns? David? Außer uns hast du doch überhaupt niemanden.

DAVID: Sag mal. Was...? Gestern noch ganz begeistert über meine Prüfung. Und heut!

VATER: Das ist was anderes, David. Jetzt geht's ums Soziale. Na, dann sag mal. Wen hast du? Ha? Wen? Hast du ein Netz? Ein soziales?

DAVID: Ja, das hab ich.

MUTTER: Naja. David. Da musst jetzt schon ehrlich sein. Das ist doch alles eher...flüchtig.

DAVID: Aha. Und die Tanja? Und die Johanna? Und der Peter? Und die Agnes?

MUTTER: Wer ist denn die Agnes. Von der hast noch nie was erzählt.

DAVID: Die Agnes ist ganz eine Liebe. Extra lieb.

VATER: Wenn du ehrlich bist, hast niemanden.

DAVID: Ichhab Netzwerke.

[Stille.]

MUTTER: David, du stellst uns ja auch nie wen vor. Die Johanna. Warum stellst uns nicht mal die Johanna vor. Zum Beispiel. Oder die Agnes.

DAVID: Ich hab mich verliebt.

MUTTER: Ja David, das ist ja super.

VATER: Aha. In wen denn?

MUTTER: Ja, in wen? In die Agnes?

DAVID: Nein. In den Martin.

MUTTER: In wen?

DAVID: Den Martin.

MUTTER: Aha. Ja. Also. David, wenn das so is. Also. Der Papa und ich...Ich mein. Du bist alt genug. Wenn das deine Entscheidung...Wir reden dir da nichts drein. Bist alt genug. Also. Ja. Wenn das so ist, dann ist das so.

DAVID: Ja. Bei mir ist das so. Mir geht's übrigens sehr gut damit. Sehr gut.

VATER: Alles abgebrochen hast du. Alles. Mich wundert's nicht. Nein. Mich wundert das überhaupt nicht. Du hast dich ja nie integriert. Warum hast du dich nie integriert. Ha? Der Pauli hat extra gefragt. Aber du hast dich ja nie...Nein. Du nicht. Da muss man sich halt integrieren. Verdammt. Da fällt dir ja kein Zacken aus der Krone. Aber nein. Du kannst das ja nicht. Der Herr kann das nicht. Muss ja immer...Aber ich versteh das. Du warst immer alle zu gescheit.

MUTTER: Ja. Da hat der Papa Recht. Du warst wirklich immer alle zu gescheit.

VATER: Aber da muss man sich verdammt noch mal integrieren. Weißt wie schwer das wird? Das wird verdammt schwer. Von wem du das hast. Die Mutti und ich. Schau uns an. Wir integrieren uns auch. Wir tun uns so was von integrieren. Da muss man halt...Naja. Der Pauli hat extra gefragt. An deiner Stell würd ich mich schleunigst integrieren.

MUTTER: Aber David, wenn das deine Entscheidung ist. Du bist wirklich alt genug.

VATER: Ich muss jetzt ins Bett.

DAVID: Es gibt da sehr gute Selbsthilfegruppen. Für betroffene Eltern.

MUTTER: Was heißt für betroffene Eltern. Wir sind nicht betroffen. David, das ist deine Entscheidung. Das ist ganz allein deine Entscheidung. Das nimmt dir keiner ab. Was heißt betroffen. Ich mein. Du bist alt genug. Meinst wir...David. Das ist deine Entscheidung.

VATER: Die Mutti und ich sind sehr gut integriert. Doris, komm. Ich bin müd.

[Beide ab.] 


SZENE 6
DAVID: Ich hab's ihnen gesagt.

JUDITH: Was? Nein. Nicht wahr. David! Du Held!
Wann hast denn wieder Therapie?

DAVID: Judith. Ich...Ich hab das abgebrochen.

JUDITH: David, warum?

DAVID: Weil mich die Schachinger...Also. Das hat nichts mehr gebracht.

JUDITH: Aber warum. Die Schachinger war doch gut, oder? Keine Lust mehr?

DAVID: Nein, ich bin hochgegangen. Die hat mich rausgeworfen.

JUDITH: Bitte was?

DAVID: Rausgeworfen hat's mich. Die kann nicht mehr arbeiten mit mir. Leider.

JUDITH: Scheiße, warum?

DAVID: Naja. Weil ich mich nicht einlass. Angeblich. Ich lass mich nicht ein. Und wenn ich ein Coaching will, dann soll ich woanders hingehen. Das gibt's woanders billiger. Und da brauch ich mich nicht einlassen. Aber das ist eine Therapie. Und da lässt man sich ein.

JUDITH: Uh. Scheiße.

DAVID: Nix „Scheiße". Meinst ich lass mich von der runterdämpfen.

„Ihre Wut verdeckt eine Trauer."

Die hat Schiss. Die hat einfach Schiss. Die will mir einreden, dass meine Wut eine Trauer ist. Für die bin ich immer nur traurig. Bloß nicht wütend. Trauer gut. Wut böse.

„Da ist jetzt kein Fehler im System, David. Sie müssen nur Ihre Sichtweise ändern. Das ist systemisch, David."

Die kann mich systemisch kreuzweise.

„Sie müssen Ihre Sichtweise ändern und die Trauer zulassen, David. Dann brauchen Sie das Gefühl nicht mehr. Das Gefühl, dass da was schief läuft. Auf der Welt. Natürlich läuft was schief. Und wie, David. Aber das Gefühl, David. Die Wut, David. Das brauchen Sie dann nicht mehr, David. Das ist ein Schutzmechanismus, David. Und Ihre Sicht eine Sichtweise."

Alles eine Sichtweise. Da gibt's nur Sichtweisen und eine super existentialistische Urtrauer.

„David, Sie lassen sich nicht ein. Sie müssen die Trauer zulassen, David. Das hat keine Gestalt für mich, David. Ich krieg da jetzt gar keine Gestalt rein bei dem Politischen, David. Das hat keine Substanz, David. Nein, gar nicht. Leider, David. Aber wenn Sie sich weiter hinter Ihrer Politik verstecken wollen, da wär ein Coaching besser, David. Und billiger, David. Und einlassen muss man sich da auch nicht, David. Das ist ein Schutz, David. Aber bitte, wenn Sie das schützt, David, dann..."

Mich schützt das einen Scheiß. Wovor soll mich das schützen? Die Politik schützt mich gar nicht. Und ich sag: Ich will nicht in die Trauer. Ich hab eine Wut im Bauch. Und dann sagt sie:

„Na gut, David. Wenn Sie sich auf die Wut besser einlassen können, David. Wenn das jetzt dran ist, David. Für Sie. Bitte. Wenn das jetzt DA ist, dann gehen wir in die Wut, David. Zeigen Sie mir die Wut, David. Vielleicht muss vorher die Wut eine Gestalt bekommen, David, damit Sie dann in die Trauer..." Und dann gibt sie mir so eine Holzkeule. Und am Tisch eine Matratze. Und ich darf mit der Keule auf die Matratze. „Vielleicht bekommt die Matratze ein Gesicht, David, und es tut sich was auf, David." Und dann muss ich das Bild festhalten.

Und wenn sie Stopp sagt, dann ist Stopp."

Und ich stell mich vor die Matratze und schlag die windelweich. Schlag voll ein auf die Matratze. Total. Und hab einen super Selbstkontakt und schlag der Matratze die Scheiße raus und schlag die versiffte Matratze grün und blau. Und bin da total wo dran. Und bin voll dran an meinen Ressourcen und an meinem Urkern und an meiner Bauchwut. Schön, dass ich da jetzt so dran bin an mir. Schön, dass ich da jetzt einen Kontakt hab und mich einlass. Und ich spür mich total gut und hab die totale Gestalt und prügel mit totaler Wut auf die Matratze ein. Und schlag und prügel. Und prügel ihr die Scheiße raus. Dieser scheiß verwichsten Matratze. Schlag die verfickte Matratze grün und blau. Und ich glaub, da taucht jetzt ein Bild auf. Das muss ich festhalten. Das halt ich fest. Das halt ich so was von fest. Und ich schlag und schlag. Schlag mit aller Kraft. Schlag wie noch nie. Schlag voll um mich. Und dann ist da der Tisch. Und den schlag ich auch. Und wie ich den schlag. Ich schlag den so. Und dann das Regal. Ich schlag das Regal. Und die Bücher. Und die Couch und hab den totalen Kontakt und komm ran, ich komm endlich ran an meine Ressourcen und prügel und schlag und schlag und lass sie „Stopp" schreien und prügel auf alles und hab die totale Wut. „Stopp!" schreit sie. „Stopp!" Und ich bin so was von scharf. Gleich hab ich's. Gleich. Gleich. Schachinger. Die Ressourcen. Ich hab's gleich. Gleich. Ich brech aus. Ich komm ran. Gleich. Gib mir die Ressourcen und ich freak denen durch. Ich freak denen so was von durch da draußen. Ich geh in die Luft. Mach mich scharf. Schachinger. Gleich jetzt. Ich geh raus und freak durch. Mach mich scharf, Schachinger. Sofort. Mach mich scharf und ich bin eine Bombe.

„Stopp!"

„Stopp! David! Stopp, sag ich!"

Ich hab ihr das Therapiezimmer zerlegt. Das war eine Grenzüberschreitung. Da bin ich zu weit...Ihr Tanzbereich. Ihre Grenze. Sie hat „Stopp" gesagt.

JUDITH: David...

DAVID: Sie wollt meine Wut sehen, oder? Die kann wen anderen integrieren. Ich war so dran an mir. Wie noch nie.

[Stille.]

JUDITH: Du hast deine Therapeutin geknackt. Geil. David. Echt. Du bist ja wirklich die Spidersau.