Selbstmordnotizen

Jean Améry

Illustration by Hong-An Tran

An die Salzburger Polizeibehörden, Salzburg, 16. Oktober 1978


An die betroffenen Polizeibehörden,

Sehr geehrte Herren:

Ich Unterzeichneter,

Hans Maier (genannt: Jean Améry)

Schriftsteller, wohnhaft in Brüssel, 56, Ave. Coghen,

erkläre hiermit, dass ich mir freiwillig, im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte, den Tod gebe. Ich bitte um sofortige Verständigung meiner Frau, bzw. Witwe, Maria Maier, geb. Eschenauer, derzeit und bis zum 19. ds. im Hotel Regina, Wien Währingerstrasse (Telephonische Nachricht, wenn irgend möglich.) Es liegt mir sehr daran, dass dies ohne Verzug geschehe, so dass meiner Frau überflüssige Formalitäten von Belgien aus erspart bleiben. Ich gehöre keiner Religionsgemeinschaft an und würde die Einäscherung meiner Reste jeder anderen Bestattung vorziehen; sollte allerdings meine Frau eine Beerdigung verlangen, ist ihrem Wunsche stattzugeben.

Eine grössere Summe Geldes (rund 4.000 DM) und etli­che belgische Franken sind nach Bezahlung der Hotelkosten und allenfalls auflaufender Spesen meiner Witwe auszufolgen. Der Betrag liegt in einem Briefumschlag auf meinem Tisch. Mein Reisepass liegt dabei.

Dies verfügt mit bestem Dank und Entschuldigung für die Umstande, die er bereitet


Hans Maier

Jean Améry



Ehrenmitglied des öst. PEN

(Mitglied des PEN der BRD
der Akademie der Künste, Berlin
der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Darmstadt
Preisträger der Bayerischen Akademie der Schönen Künste 1972
Lessingpreis der Stadt Hamburg 1977
Preis für Publizistik der Stadt Wien 1977)

Die Ehrungen führe ich ausschliesslich an, dass meine Witwe entsprechend rücksichtsvoll behandelt werde. Tel. No. des Hotel Regina: Wien 427681





An die Hotelleitung Hotel Österreichischer Hof, Salzburg, 16. Oktober 1978



An die Hotelleitung

Verzeihen Sie bitte, sehr geehrte Damen und Herren, die Ärger­lichkeiten, die ich Ihnen bereite. - Ihre, bzw. meine Rechnung wird Ihnen seitens der Polizeibehörden, an die ich einen Brief richte, beglichen werden. - Ich habe bereits die Herren von der Behörde gebeten, meine Frau, Mme. Maria Maier-Améry, die sich z. Zt. im Hotel Regina, Wien, befindet, telephonisch zu verständi­gen. - Da ich aber weiss, dass Amtswege häufig und notwendiger­weise langwierig sind, bitte ich auch Sie herzlich um sofortige telephonische Verständigung meiner Frau.

Mit Dank im voraus und nochmaliger Entschuldigung,


Hans Maier

Jean Améry



Tel. N°- des Hotel Regina, Wien: 427681





An Hubert Arbogast, Salzburg, 16. Oktober 1978


Lieber Herr Arbogast -

Nur ein kleines Wort aus der Nacht: Verzeihen Sie mir die Ungelegenheiten, die ich Ihnen wahrscheinlich bereite. Auch Michael Klett mag mir verzeihen; I was a bad investment. Aber er ist ja lieb und klug. Und noch besser als er wird sein Vater begreifen, dass man Lust haben kann, den Hobel hinzulegen. Grüssen Sie alle im Hause, die mir wohlgesonnen waren, und insonders natürlich (übers Haus hinaus) Freund Heissenbüttel. Aber vor allem Sie, cher ami, Dank für so vieles. Wie traurig, dass es nun endigt. Ich scheide wehen Herzens, weiss aber, dass ich es nicht ändern kann. Ich hielt mich aufrecht, solange die Kräfte reichten. Jetzt schwinden sie, so muss ich gehen.

In aufrichtiger Freundschaft und Herzlichkeit, Ihr


Jean Améry






An Maria Améry, Salzburg, 16. Oktober 1978



Geliebtes Herzilili,

allergeliebtes, vor dem ich sterbend in Schuld knie ‑

Ich bin auf dem Weg ins Freie. Es ist nicht leicht, aber dennoch die Erlösung. Denke, wenn Du kannst, nicht mit Groll an mich und nicht mit allzu qualvollem Schmerz. Du weisst alles, was ich Dir zu sagen habe: dass ich Dich unendlich liebte und dass Du das letzte Bild bist, das vor meinen Augen steht. Schau, mein Herzensliebling, ich bin am Ende meiner Kräfte und kann meinem Niedergang, intellektuellen, physi­schen, psychischen, nicht zusehen. Denk auch an das schöne Gedicht von Christian Wagner, dass Du einmal für mich aus­schnittest.

Ich habe - mit Ausnahme der Jahre der Niedertracht -aufrecht gelebt und will aufrecht (nebbich, mit Pulverbarem) sterben. Meine ganze Sorge bist Du. Ein winziger Trost ist mir nur, dass Du - auf bescheidener Basis - halbwegs gesichert bist. Mir ist, wie dem armen Charles, >grund-schlecht<, wenn ich an Dich denke und ich fühle mich tief elend. Aber Du hast mich immer verstanden, und so habe ich an diesem letzten Abend meines Lebens, die Hoffnung, dass Du mich auch dieses letzte Mal verstehen wirst.

Bitte, bitte, sei mir nicht gram - jetzt ist mir ja, als ahnte ich, Du würdest am Ende doch verzeihen. Ein Schimmer, eine blosse Ahnung von Seelenfrieden.

Geh nach Wien, Herzilili, wo Du engere Freunde hast. -Ich danke Dir für alles, für so sehr viel, für den Jean Améry, der nur durch Dich, mit Dir bestand.

Ich küsse Dich in tiefer Liebe,


Dein Pink



(Bitte schmeiss die >>Fetzenkinder<< nicht weg...)

N.S. Mary: Sie kam auf mein Drängen nach Europa. Ihr Flug zurück nach Pocatello sollte gesichert sein und noch etwas für ihre ersten Wochen dort. Meinen Herzenswunsch, Du mögest sie noch einmal umarmen wie eine Schwester, wage ich kaum auszusprechen.

The original German text appears by the gracious courtesy of Klett-Cotta and is available in Jean Améry's Werke, Band 8: Briefe.